Die Zukunft der Psychotherapie hat begonnen, wenn auch (noch) nicht bei uns. Auf dem „E-Mental Health Summit 2009“, dem 1.Kongress der International Society for Research on Internet Interventions (ISRII) in Amsterdam wurde deutlich, dass der technische Fortschritt in Form von PC, Internet und Handy inzwischen auch die "Seelenheilkunde" erreicht hat. In Großbritannien, den Niederlanden und Schweden können Patienten, die unter Angst- oder Zwangsstörungen, Depressionen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden jetzt ein Behandlungsangebot wählen, bei dem sie am PC via Internet eine Kombination aus Psychoedukation und Verhaltens-Coaching durchlaufen. um so einen Weg heraus aus ihren psychischen Problemen zu finden. Zuhause, ganz für sich, ohne sich mit seinen Problemen "outen" zu müssen, eine Anonymität, die für Viele sicherlich (immer noch) höchst wünschenswert ist. Auch den Krankenkassen kommt in der jetzigen Zeit ein solches „preiswertes“ Psychotherapieangebot sicherlich sehr entgegen. „E-Mental Health“ liegt somit voll im Trend.
Warum gibt es dieses Angebot nicht auch bei uns? Aufgrund der aktuellen Gesetzeslage darf in Deutschland heilende Tätigkeit nur im persönlichen Kontakt ausgeführt werden. Ein Anachronismus, ein Hemmschuh für den Fortschritt in der Psychotherapie aus vergangenen Zeiten? Eher nicht, denn der Zwang zum persönlichen Kontakt zwischen Arzt/Therapeuten und Erkrankten gewährleistet die Qualität von Diagnose und therapeutischer Intervention. Ähnlich wie es mit elektronischen Mitteln immer noch nicht möglich ist, das virtuose Spiel auf einer Stradivari zu imitieren, ist auch Psychotherapie ohne den „human factor“ nicht denkbar.
Wieder so ein technikfeindlicher Psychologe werden Viele jetzt vielleicht denken. Aber dieser Vorwurf trifft auf mich und meine therapeutische Arbeit nun gar nicht zu. Ich selbst habe in den zurückliegenden Jahren eine ganze Reihe von, auf technischen Hilfsmitteln basierende, therapeutische Interventionen entwickelt und bezüglich ihrer Wirksamkeit empirisch evaluiert. Die Palette reicht dabei von „Brainy“, dem PC-gestützten Antizwangstraining bis hin zu dem auf sprachlichen Dialogen basierenden, PC-Programm „Talk to him“, bei dem der Patient sich in Dialogform mit seinem Zwang auseinandersetzt. Die vergleichsweise große Verbreitung dieser beiden PC-Programme ist ein Hinweis darauf, dass Patienten inzwischen zunehmend mehr dazu bereit sind, selbst Verantwortung für die Überwindung ihrer psychischen Probleme zu übernehmen. Wichtig dürfte dabei jedoch sein, dass derartige, technikgestützte Interventionen nur einen Teil eines umfassenden therapeutischen Geschehens darstellen. Das, was innerhalb eines therapeutischen Prozesses abläuft, ist viel zu komplex, als dass es sich vorprogrammieren ließe. Und genau hierin liegt die Schwäche der auf dem Internet basierenden, mit allen technischen Raffinessen realisierten Therapieangebote „von der Stange“. „Beating the Blues“, „Fear Fighter“ und „Cope“ stellen zwar technisch gut gemachte, vor allem auf das therapeutische Mittel der Psychoedukation setzende Interventionen dar, jedoch fehlt ihnen der „human factor“ in Form eines menschlichen Gegenübers. Lediglich ein kleiner Teil der Benutzer wird von diesen „kopflastigen“ Therapieangeboten profitieren, denn die meisten Patienten brauchen mehr als nur eine Korrektur ihres „falschen“ Denkens und Verhaltens. Die für einen wirklich tief greifenden und dauerhaften Veränderungsprozess nötige intensive emotionale Beteiligung lässt sich nur über besondere therapeutische „Kunstgriffe“ erreichen. Genau deshalb lasse ich in den von mir entwickelten PC-gestützten Therapieprogrammen nach Möglichkeit die Interaktion mit Hilfe von Sprache stattfinden. Hierdurch wird bei den Benutzern eine starke emotionale Beteiligung induziert, die für das Stattfinden eines dauerhaften psychischen Veränderungsprozesses entscheidend ist.
Die Zukunft einer Psychotherapie 2.0 dürfte in der Weiterentwicklung von (verhaltens)therapeutischen Interventionen liegen, wobei Schritt für Schritt die, sich durch den technischen Fortschritt anbietenden, Möglichkeiten für eine Intensivierung des therapeutischen Geschehens genutzt werden.
Auch die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen der immer größer werdenden Nachfrage nach Psychotherapie und dem in seinen Umfang „eingefrorenen“ Angebot an Psychotherapie macht es unumgänglich in Zukunft neue Wege zu gehen. Jedoch sollten Patienten wie auch Therapeuten „E-Mental Health“ mit genügend kritischem Sachverstand begegnen, damit aus einer großen Chance kein „low budget“ Angebot als „Lückenbüßer“ für fehlende Angebote im Sektor von der Krankenkasse finanzierte Therapie wird. Darüber hinaus ist vor Beginn einer Psychotherapie, in welcher Form auch immer sie dann stattfinden soll, auf jeden Fall eine professionelle Psychodiagnostik unerlässlich, die nur durch ein psychotherpeutisch geschultes Gegenüber vorgenommen werden kann, auf der Grundlage einer tragfähigen therapeutischen Beziehung. Hierzu wird „Kollege Computer“ auch in ferner Zukunft vollkommen ungeeignet bleiben.
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